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Der grüne Tercel schlingerte. Trotz des heißen Kaffees, den er schließlich doch bekommen hatte, war Bruegel bis auf die Knochen durchgefroren. An irgendeiner roten Ampel, er konnte sich später nicht mehr erinnern, welche es genau war, träumte er von einer heißen Dusche und einem sehr großen Glas seines Cos d’Estournel.
Gerade als er zum Anfahren den ersten Gang einlegen wollte, meldete sich sein Handy mit der seidenweichen Titelmelodie seiner Lieblingsserie. Er ließ den Schalthebel los, um nach dem Handy zu greifen, gab aber weiter Gas. Der Tercel heulte. „Ja, was denn? Ich fahre!“ Hinter ihm hupte jemand. „Cocky, was denn?“ „Mann, brüll doch nicht so! Wir haben den Toten von der Rennbahn in die Pathologie gebracht und den Hund gleich mit. Anita vermutet, dass der Greyhound eingeschläfert wurde, bevor man ihm die Hoden abgeschnitten hat. Erste Ergebnisse gibt es nicht vor morgen Mittag.“ „Verdammt, dann ruf mich doch auch erst morgen Mittag an!“
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Bruegel und sein Tercel standen mitten auf der Kreuzung. Er konnte zwar zur selben Zeit denken und fahren, aber nicht fahren und sprechen. „Alter! Jetzt mach mal endlich deine scheiß Keksdose hier weg!“ An Bruegels beschlagenem Fenster hatte sich ein Wesen aufgebaut, dessen vernebelte Fratze verzweifelt versuchte, ihm etwas mitzuteilen. Peter Bruegel neigte seinen Kopf sehr gemächlich nach links. Wie ein Fisch, dachte Bruegel, wie ein Fisch an der Scheibe seines Aquariums. In diesem Moment wollte er nicht mehr Columbo sein. Er wollte einfach nur Peter Bruegel sein. Zu seiner eigenen Überraschung blieb er dennoch ruhig, legte sehr langsam den ersten Gang ein und fuhr los. Einfach so, ohne den pöbelnden Schnösel zur Sau gemacht zu haben.
Seine Kreppsohlen quietschten. „Herr Bruegel, wie geht es ihnen denn heute?“ In seinem Leben gab es sehr wenige Konstanten. Alles um ihn herum geschah auf eine merkwürdig beliebige Weise und meistens zufällig. Allein auf seine Nachbarin konnte er sich verlassen wie auf eine Atomuhr. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit er nach Hause kam, Frau Jonghelinck erwischte ihn. „Ganz gut, Frau Jonghelinck. Sie wissen ja, Winter ist Winter.“ „Ja, wem sagen sie das! Fragen sie mich mal. Aber wir wollen ja nicht klagen! Kommen sie auf einen Kaffee hinein?“ „Das ist sehr freundlich, Frau Jonghelinck, aber sie wissen ja, ich bin sehr eingespannt!“ „Ach Herr Bruegel, ich weiß, ich weiß.“ Sie hatte sich längst eingestanden, dass er niemals einen Kaffee mit ihr trinken würde. Aber einen Versuch war es immer wieder wert.
Bruegel warf seine Schlüssel auf den Schreibtisch. Am Türrahmen der Küche blieb er stehen und lauschte seinem Tinitus. Dieses leise hohe Pfeifen würde ihm fehlen, wäre jemals irgendjemand in der Lage, es abzustellen. Also tat er erst gar nicht dagegen und nahm es einfach hin. Jetzt lechzte er nur nach seinem Cos d’Estournel, der brav in einer tönernen Röhre unter der Spüle auf ihn gewartet hatte. Dieser Wein! Teurer als der komplette Satz Winterreifen für seinen Tercel, aber jeden verdammten Cent wert. Vorsichtig entkorkte er die Flasche, holte sich ein Glas aus dem Schrank, goss es bis zum Rand voll und stürzte den Inhalt in zwei Zügen hinunter.
Dann erlaubte er sich, das zweite Glas einzuschenken. Der 2ème Grand Cru Classé Saint-Estèphe duftete betörend. Bruegel war so verzückt von diesem heiligen Moment, dass er fast das Trällern seines Handys überhört hätte. „Was?“ „Peter?“ „Ja wer denn sonst, Mann!“ „Peter, wir haben noch eine Leiche. Genauso zugerichtet wie der Holländer.“ „Wo?“ „Etwa 80 Kilometer von unserem Tatort entfernt. Ich schicke dir die Adresse.“ Die Kollegen waren schnell und gut vernetzt. Bruegels Tempo war das nicht, aber er hatte gelernt, sich anzupassen. Er lehnte an seiner ältlichen Küchenzeile und starrte über den Rand seines Glases. Wieso pilzte die Sockelleiste seiner Spülmaschine so merkwürdig auf? Sie sah aus, als wohnten kleine Wesen unter ihrem Furnier, das ihr Hersteller damals mit der Farbe White Forrest bezeichnet hatte. „Heute wohl eher Black Forrest.“, witzelte er vor sich hin. Der Wasserschaden von neulich hatte wohl doch ein paar Spuren hinterlassen.
Gierig trank er den Rest. Sein wunderbar tief dunkles Rot hätte schlimme Bilder in seinem Kopf produzieren können, doch an diesem Tag blieben sie still. Er musste los. Fünf Minuten später saß er in seinem Tercel. Er würde ihn über die Autobahn pilotieren müssen, was schon immer ein ausgewachsener Albtraum für ihn war. Doch die zwei großen Gläser Cos d’Estournel hatten sein Angstzentrum pünktlich zur Abfahrt lahm gelegt. Mit ungewohnt guter Laune machte er sich auf den Weg, die nächste Grausamkeit zu besichtigen, die die Menschheit an diesem Tag für ihn zu bieten hatte.
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Es schneite. Laster fuhren auf ihn auf. Manche schafften es sogar, ihn am Berg zu überholen. Bruegel kümmerte das wenig. Mit entspannten achtzig Kilometern die Stunde rollte er seinem Ziel entgegen, das laut Cocky sehr hübsch in sanft hügeliger Landschaft lag. Als er rund neunzig Minuten später eine von Buchsbäumen gesäumt Auffahrt hinauf fuhr, hatten sich zu seinem mittlerweile wieder nüchternen Ich hämmernde Kopfschmerzen hinzugesellt. „Cocky?“ Bruegel brüllte in die Dunkelheit. Starke Taschenlampen zuckten durch einen gepflegten Garten. „Peter? Mann, wo bleibst du denn?“ Der weiße Kies knirschte sehr laut unter seinen Kreppsohlen. Von weit hinten waberte helles Bellen zu ihnen herüber. „Wieder ein toter Hund?“ „Nicht nur das.“, brummte Cocky und wies ihm den Weg.
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